Die alte Spinnstube, wo man mit dem Spinnrad im nachbarlichen oder kameradschaftlichen Kreise in den Wintermonaten sich zusammenfand, ging Anfang des 20. Jh. zu Ende. Bis dahin war es Brauch, dass die Nachbarn, so auch die Mädchen ab 15 Jahren, abends mit ihren Spinnrädern bei ihren Nachbarinnen oder Schulkameradinnen zusammenkamen die Wolle spannen. Jede Woche war in einem anderen Haus Spinnstube bis die durch war, dann ging es wieder von vorne an. Bei spärlichem Petroleumlicht, und flackerndem Ofenfeuer saßen sie in froher Runde und ließen ihre Spinnräder surren.
Auf ihrem Schoße lag die gezupfte Wolle, die mit den Fingern fein auseinander gezogen wurde, damit sie durch die des Spinnrades ging, und durch die Umdrehung bis auf die Spule zu einem Faden und von derselben aufgenommen wurde. Das Rad wurde durch die Fußpedale welche von dem rechten Fuß getreten wurde, in Gang gesetzt. Bei den nachbarlichen Zusammenkünften waren meistens auch die Männer dabei, sie zupften ihren Frauen die Wolle, auch gab es welche, die Strümpfe strickten. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Arbeitstempo nicht immer so planmäßig ablief. Es wurde auch manche Pause eingelegt, wo die Männer auf der Ofenbank saßen, und die Frauen mit ihren Stühlen um das flackernde Ofenfeuer zusammenrückten und ein Schwätzchen machten. Bei besonderen Anlässen wurde auch mal ein Schnaps getrunken, im übrigen begnügte man Sich mit einem Apfel, den man vorher erst auf die Ofenplatte legte und anbraten ließ. Von dem Spinnen bis zum Stricken gab es noch einige Arbeitsvorgänge; wenn die Spule voll war, wurde das Garn auf eine Haspel aufgehaspelt und anschließend wieder zu einem Knäuel aufgewickelt. Damals gab es noch viele arme Leute, besonders Frauen, die früh ihren Mann verloren hatten und sich kärglich mit ihren Kindern durchs Leben schlagen mussten. Sie haben viel für andere Wolle gesponnen und Strümpfe gestrickt, wofür sie meistens Naturallohn (Lebensmittel) erhielten. Daher dürfte auch die alte Volksweisheit stammen Spinnen am morgen, bringt Kummer Sorgen, was oft mit der lebenden Spinne verwechselt wurde. Auf dem Lande gab es nur wenige, die den Wohlstand genossen. So waren sie von jeher gehalten für den größten Teil ihrer aufzukommen, indem sie Flachs anbauten und Schafe hielten. Es lag was Urgemütliches darin, die Zeit nicht zu überrennen, was uns leider heute fehlt.
In den Spinnstuben der Jugend ging es dagegen etwas lustiger zu. Die einzelnen Schuljahrgänge fanden sich abends in einer Wohnung zusammen, wobei man von Woche zu Woche zu einer andern wechselte. Auch die jungen Burschen, die mit ihren Schulkameraden zusammen gingen, fehlten nicht dabei. Es wurde gesungen und gescherzt, dabei bändelte sich auch vielmals ein Liebesverhältnis an, woraus dann mit der Zeit ein festes Verhältnis wurde. Es ist aber auch vorgekommen, dass Burschen aus verschiedenen Kameradschaften an den Mädchen des einen Jahrgangs Interesse hatten, was oft zu Streitereien führte, wobei es manchmal ziemlich hart zuging.
Um die Stimmung zu heben, legten die Burschen zusammen, jeder so 10-15 Pfennig und holten dafür Schnaps. In ein kleines Schnapsgläschen wurde ausgeschenkt, das dann die Runde machte, die Mädchen nippten nur leicht daran, wogegen die Burschen sich als ganze Kerle zeigen wollten und es auskippten.
Die Stimmung hob sich, ein Volkslied nach dem andern wurde gesungen, doch bevor der Nachtwächter die elfte Stunde ankündigte, ging es eilig nach Hause. Einige begleiteten noch ihr Schätzchen heimwärts, die andern verloren sich in froher Laune in ihren Gassen.
Die Mädchen und Burschen, die eine Stelle im Dorf als Mägde oder Knechte oder als Lehrlinge und Gesellen fanden, schlossen sich einer Gesellschaft bzw. Kameradschaft an und gehörten somit dazu. Die Bediensteten wechselten ihre Stelle (Arbeitgeber) meistens nur am Wandertag (das war der Tag nach Weihnachten), dann war die ganze Kameradschaft dabei, die Kiste rücken zu helfen, d. h. die Kleidungskiste von der alten zur neuen Stelle zu tragen. Zogen sie in ein anderes Dorf um, wurde der Umzug mit dem Wagen vorgenommen, dafür musste der Umzügler eine Lage Schnaps spendieren, damit wurde der Abschied leicht gemacht und die Stimmung gehoben. Mit dem Winter endete auch die Spinnstube. In den Wochentagen war dann wenig los, außer, dass die Burschen ihre Vereinsabende besuchten. Man freute sich dann schon auf den Sonntag, wo dann am Sonntagabend die Mädchen und die Burschen sich wieder kameradschaftlich zusammenfanden.
Es war so Brauch, dass man die Mädchen, bei denen man die Spinnstuben verlebte, auch einlud, mit aufs Zollhaus zu gehen. Vorweg die Mädchen Arm in Arm und dahinter die Burschen. So zog dann eine Kameradschaft nach der anderen auf das Zollhaus. Hier saß man an langen Tisch beisammen, die Burschen spendierten den Mädchen ein Bier, wogegen die Burschen, soweit sie Geld hatten, eins mehr tranken. Bei fröhlicher Stimmung und Gesang verbrachte man den Abend. So gegen elf Uhr ging es wieder mit Singen dem Dorfe zu. Auch bei Feiertagen und Kirmes hielt man an dem alten Brauch fest, kameradschaftlich mit den Mädchen zusammen zu sitzen, und mit all den Mädchen, die man gut kannte, einen Pflichttanz abzustatten.
Trotzdem die alte Spinnstube mit dem Spinnrad nicht mehr war, blieb dennoch bis vor dem zweiten Weltkrieg die Spinnstube erhalten, nur mit dem Unterschied, dass die Mädchen in den Wintermonaten nicht mehr mit dem Spinnrad sondern mit dem Strickstrumpf oder Häkelkasten, kamen, um die alte Tradition des Zusammenseins zu pflegen.
Mit dem zweiten Weltkrieg ging dieser schöne Brauch zu Ende und ist danach nicht wieder aufgelebt. So wie sich die Spinnstuben auflösten, ging auch das kameradschaftliche Beisammensein verloren. Heute pflegt jeder auf seine Weise noch die Kameradschaft zu erhalten, die aber bei weitem nicht mehr das bedeutet, - was einst war.