Zuletzt bearbeitet vor einem Jahr
von David Diefenbach

Altes Dorfleben

In unserem Dorf wurde bis zum 19. Jahrhundert die fränkische Bauweise beibehalten, das zeigen die alten Anwesen mit ihren geschlossenen Höfen, die aneinander gereiht, lange Straßen bildeten.

Ich liebe meine Heimat, weil sie so viel romantisches an sich hat. . . Der Gesamteindruck, den sie beim Überblick macht, ist nüchtern und alltäglich. Die alten Häuser mit ihren spitzen Giebeln und verblassten Schieferdächern bargen in sich jedoch ein zufriedenes Zusammenleben. Die Leute lebten äußerst einfach.

Vor Eintritt des Winters musste für einen gehörigen Vorrat gesorgt sein; im Keller ein Haufen Kartoffel, auf dem Gerüst Äpfel, soviel es tragen konnte, ein gefülltes Fass mit Sauerkraut, ein Ständer mit Bohnen, eingepökeltes Schweinefleisch und auf dem Speicher Roggen und Gerste für Brotmehl und Weizen für den Festtagskuchen. Die Naturalwirtschaft hatte damals auf dem Lande noch breiten Boden. Das Brotmehl wurde aus einer Mischung von Roggen und Gerste bereitet. In Mensfelden, dass selbst keine Mühle hatte, wurde die Brotfrucht von einem Müller aus der Nachbargemeinde zum Vermahlen abgeholt und nach einiger Zeit als Mehl wieder zurückgebracht, nachdem der Naturlohn (Molter) davon abgezogen war. Gewöhnlich erhielt man einen Zentner Mehl, den der Bäcker wieder abholte, um daraus 32 Brotlaibe zu backen. Diese wurden im Oberflur auf einer Brothanke bis zum Verbrauch aufgehoben. Ich erinnere mich, dass die letzten Laibe oft recht hart und zuweilen schimmelig waren. Frisches Brot, so hieß es, sollte nicht gesund sein. Bei jedem Geback gab es ein bis zwei Platte, kuchenartige Plätze, worauf wir Kinder uns besonders freuten. Kuchen gab es nur an Feiertagen oder Festen reichlich. Wenn diese gebacken wurden, gingen die Frauen selbst ins Backhaus, wo jede dafür sorgte, dass ihre Zutaten richtig verwendet und dass ihre eigenen Kuchen durch ein besonders Zeichen von den fremden unterschieden werden konnten.

Manchmal kam der Bäcker mitten in der Nacht und klopfte ans Fenster, um die säumige Hausfrau zu wecken, wenn sie an der Reihe war. Die Butter wurde noch selbst gestoßen oder in einem Butterfass geleiert, an welchem wir Kinder die Leier drehen mussten.

Das Kochen von Birn- und Zwetschgenkraut zum Brotaufstrich war damals in jedem Haushalt ein großes Ereignis. Zum Schälen der Birnen und zum Auskernen der Zwetschen wurden die Mädchen aus der Nachbarschaft bestellt, und niemand versagte die freiwillige Hilfeleistung, die man ein andermal wieder selbst in Anspruch nahm. Es ging sehr lustig zu in großer Gesellschaft, die sich dann um den großen Esstisch versammelt hatte.

Vom Scherzen und Necken kam man zum Singen, wobei die Arbeit rasch von der Hand ging, so dass man schon nach Hause gehen konnte, ehe der Nachtwächter elf Uhr blies. Manchmal wurde auch noch eine Runde durch das Dorf gedreht, wobei man die Burschen mit Zwetscheernen an ihren Fenstern beglückte.

Die Kost war reichlich und bestand zumeist aus Vegetabilien. Fleisch vom Metzger, gewöhnlich Rindfleisch, gab es nur an Sonn- und Feiertagen; daneben wurde in der Woche ein bis zweimal geräuchertes Schweinefleisch gereicht, wofür man im Winter ein oder zwei gemästete Schweine schlachtete. Das besorgte der Metzger des Ortes, die meistens als Hausmetzger nebenberuflich arbeiteten. Schon am frühen Morgen erschien der Metzger zum Schlachten, und am Nachmittag wurde die Wurst gemacht. Der Schlachttag, auch Schlachtfest genannt, war ein großes Ereignis, wozu man die Nachbarskinder und nächsten Verwandten einlud.

Wie bei der Nahrung war es auch bei der Kleidung das Lohnwerk noch in voller Übung. Der selbstgeerntete Flachs und der Hanf wurden, nachdem die Samenkörner abgenommen waren, auf den eigenen Wiesen geröstet, dann wurde der Flachs, nachdem er richtig ausgetrocknet war, im munteren Takte zwischen den Laden und der Breche gebrochen und von den Holzbestandteilen befreit. Diese sogenannten Ohme fielen zu Boden, während die Fasern erst noch gehechelt werden mussten, um, in Knoten zusammengebunden, mitsamt dem abgefallenen Wergt zur Verspinnung aufgehoben wurden. War dieses während des Winters von den Frauen des Hauses besorgt, so wurde das Garn gekocht und dann dem Leineweber übergeben, der um Ellenlohn Zeug daraus webte. Dazu erhielt er das Schlichtmehl aus dem Kundenhaus und eine gewisse Menge Brot, wohl ein Überrest aus einer früheren Zeit, als er vom Kunden die volle Kost erhielt.

Das rohe Gewebe wurde auf der Wiese gebleicht, jeden Tag musste es mehrmals mit Wasser begossen werden, bis es gebleicht war und zu Hemden oder Bett- und Handtüchern verarbeitet wurde. Ein Teil wurde auch zum Blaufärben zu dem Färber nach Kirberg oder Limburg gebracht, wobei der Kunde ein Messingschildchen bekam, damit man das Gewebe wieder erkannte, wenn es aus der Farbe kam und dem Schneider zur Anfertigung von Leinenhosen oder Kitteln übergeben werden konnte. Die wenigen Handwerker, welche man auf dem langen Weg vom rohen Spinnstoff bis zur fertigen Kleidung brauchte, waren Heimwerker, die oft viel, aber oft auch wenig zu tun hatten und für Stücklohn arbeiteten. Der Stoff für bessere Kleidung wurde in einer Tuchhandlung in Limburg gekauft, später konnte man sich auch beim Schneider des Dorfes den Stoff aussuchen, der ihn dann besorgte. Bevor dieser den Anzug machte, kam er ins Haus oder man ging zu ihm zum Maßnehmen. Ähnlich war es auch bei den Frauen und Mädchen. Vom Kauf beim Kleiderhändler in Limburg wurde damals noch wenig Gebrauch gemacht. Als ich noch Kind war, trugen die Bauern blaue Leinenkittel mit einfacher Stickerei auf den Achseln, am Hals geschlossen mit einem Metallhaken, der an einem Messingblech in Form einer Eichel saß. Das war eine sehr kleidsame und praktische Tracht. Im Winter zog man selbstgestrickten Wams darunter und im Sommer konnte man, wenn mans ganz leicht haben wollte, die Weste auslassen. Man sah immer ordentlich im Kittel aus, was bei der jetzt gebräuchlichen nicht immer der Fan ist.

Auch mit Schuhen wurde man sehr knapp gehalten. Die Kinder hatten meistens nur ein Paar, dagegen ältere Leute zwei Paar Schuhe, ein Paar für werktags und ein Paar für sonntags besaßen. Sie wurden von einheimischen Schuster gemacht, die jedoch meistens als Flickschuster für die Werktagsschuhe arbeiteten. Die Sonntagsschuhe wurden schon damals in den Limburger Schuhgeschäften gekauft.

Bei Erkrankungen wurde selten und nur in höchster Not der Arzt gerufen. Man behalf sich mit den immer zur Verfügung stehenden Hausmitteln. Bei Wunden wurden gekochte I.einsamenumschläge gemacht. Gegen die häufig auftretenden Erkältungskrankheiten wurden Kamillentee und Leinsamen in leinerne Säckchen gegeben und damit Umschläge gemacht; auch Tee wurde reichlich getrunken, z. B. Lindenblüten, Kamillen, oder Wachholdertee. Von all diesen Hausmitteln war immer reichlich im Haus. Besonders gern wurden warme Umschläge gemacht und schweißtreibende Mittel angewandt, wobei manchmal eine Kühlung angebracht war. Ehe man den Arzt holte, damals gab es noch keine Krankenkassen, hat man erst den Kuh- oder Schafhirten oder einen anderen, der als Braucher bekannt war, geholt, der dann mit seinen Händen über die kranke Stelle fuhr und dabei sein Heilsprüchlein aufsagte, welches etwa wie folgt lautete:

Weicht ihr Schmerzen, heilt ihr Wunden, wie des Heilands Hände heilen , will ich mit seiner Kraft dir Linderung und Heilung geben, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes Amen.

So dauern die alten Heilsegen und Zaubersprüche im Volke fort und werden ebensowenig auszurotten sein wie das Gesundbeten.

Dagegen ist von Gespensterfurcht und Aberglauben wenig zu berichten. Manchen gruselte es in der Dunkelheit, vor allen Dingen denen, die etwas Unrechtes getan hatten. Diese glaubten, böse Geister verfolgen sie.

Vom Aberglauben oder Hexenglauben ist mir zur Genüge aus dem Mittelalter und aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges durch alte Überlieferungen bekannt.

Es gab aber noch in Mensfelden Leute, die bis zum 20. Jahrhundert an ihre Stalltüren nach der Walburgisnacht mit Kreide drei Kreuze oder drei Buchstaben K. M. B. (Kaspar, Melchior, Balthasar) machten, worüber sich die anderen lustig machten. Bei dieser Gepflogenheit handelt es sich aber um eine Sitte, die aus der Zeit vor der Reformation stammt und heute noch Brauch in den katholischen Nachbardörfern ist, wenn am Dreikönigstag die Sternsinger von Haus zu Haus gehen und diese drei Buchstaben mit drei Kreuzen an die Haustür schreiben. Man erzählt sich heute noch, dass es welche gab, die in der Gemarkung oder sonstwo Gespenster gesehen haben wollen, was besonders die Kinder beeindruckte.

Immer waren wir stolz auf das Geläute unserer Kirchenglocken, wenn sie im dumpfen Dreiklang zum Gottesdienst riefen, oder wenn eine von ihnen zu Gemeindeanlässen rief, die Tageszeiten anzeigte oder das Sterbeglöckchen uns den Tod eines unserer Mitbürger kündete. Besonders habe ich ihren Zauber empfunden, wenn am Sonntagmorgen ihr lieblicher Schall über Dorf, Fluren Wald erklang, und die Glocken der Nachbargemeinden in weiter Runde miteinstimmten. Es liegt etwas Heimatliches in dem Ton der Kirchenglocken und wer ihn lang nicht gehört hat, dem rufen sie schlummernde Erinnerungen wach. Ohne ihre schwingenden Töne würde uns etwas fehlen in unserem Dorf.

Prägt die Zeit auch ihre Menschen, die Erinnerung aber bleibt doch.

Keine Kategorien vergebenBearbeiten